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Pragmatismus und Theorien sozialer Praktiken

Vom Nutzen einer Theoriedifferenz
ISBN/EAN: 9783593507224
Umbreit-Nr.: 416483

Sprache: Deutsch
Umfang: 357 S.
Format in cm: 2.2 x 21.3 x 14
Einband: kartoniertes Buch

Erschienen am 05.10.2017
Auflage: 1/2017
€ 39,95
(inklusive MwSt.)
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  • Kurztext
    • Die Körperlichkeit des Handelns, die soziale Herstellung handelnder "Subjekte ", die Unzulänglichkeit von Theorien rationalen Entscheidens: Diesen Problemen widmen sich pragmatistische Theorien wie auch Theorien sozialer Praktiken. Trotzdem standen sich diese Positionen lange indifferent bis feindselig gegenüber. Eine wirkliche Debatte über ihre oft sehr unterschiedlichen Problemlösungen kommt erst seit Kurzem in Gang. Der Band führt diese Debatte erstmals systematisch. Dabei zielt er nicht nur auf einen Theorievergleich, sondern auch darauf, Antworten aus beiden Diskussionssträngen sozialtheoretisch weiterzuentwickeln.
  • Autorenportrait
    • Hella Dietz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Göttingen. Frithjof Nungesser ist Universitätsassistent am Institut für Soziologie der Universität Graz. Andreas Pettenkofer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max- Weber-Kolleg der Universität Erfurt.
  • Leseprobe
    • Der Nutzen einer Theoriedifferenz. Zum Verhältnis von Pragmatismus und Theorien sozialer Praktiken Hella Dietz, Frithjof Nungesser und Andreas Pettenkofer 1. Gemeinsame Probleme, unterschiedliche Schlüsse Plausible soziologische Erklärungen erfordern Prozessbeschreibungen, die nicht allein den Fall des >rationalen< Akteurs in den Blick nehmen, der - in souveräner Distanz zur Situation - kalkulierend seine Zwecke verfolgt. Doch so umfassend inzwischen Kritik an Theorien der rationalen Wahl formuliert worden ist, so ungeklärt bleibt weiterhin, worin die tragfähige Alternative zu einer solchen verengten Perspektive besteht. Entscheidende Versuche, diese Frage zu beantworten, werden von pragmatistischen Theorien wie auch von Theorien sozialer Praktiken formuliert, hier vor allem in jener französischen Debatte, die im deutschsprachigen Raum oft unter dem Stichwort >Praxistheorie< verhandelt wird. Diese Theoriefamilien standen einander bis vor kurzem indifferent bis feindselig gegenüber - obwohl sie von ganz ähnlichen Diagnosen ausgehen: Beide zielen darauf, den cartesia-nischen Dualismus zu überwinden, auf dem Theorien rationaler Wahl aufbauen; beide betonen, dass die an sozialen Prozessen beteiligten >Subjekte< ihrerseits sozial konstituiert werden; beide unterstreichen die Bedeutung, die der Körperlichkeit des Handelns und der Materialität der Dingwelt in Prozessen sozialer Ordnungsbildung zukommt. Nicht nur die explizit >posthumanistischen< Versionen einer Theorie sozialer Praktiken, auch die klassischen pragmatistischen Positionen lehnen einfache Formen von >Handlungstheorie< ab - wie Joas (1992b: 214) betont, ist aus pragmatistischer Sicht bereits der Begriff >Handlung< als solcher problematisch, schließlich "löst schon allein der Begriff der Handlung die Einzelhandlung in einer durchaus nicht selbstverständlichen Weise aus ihrem Kontext heraus". Auch der Begriff des Akteurs wird damit diskussionsbedürftig; tatsächlich wird er in beiden Theoriefamilien weitgehend vermieden. In der lange Zeit eher kursorischen Auseinandersetzung zwischen den Theoriefamilien blieben diese Gemeinsamkeiten jedoch meist im Hintergrund; teils wurden sie wohl auch aus theoriepolitischen Gründen be-schwiegen. So oder so werden in beiden Theoriefamilien unterschiedliche Schlüsse aus der geteilten Diagnose gezogen. Das betrifft bereits die Beschreibung von Handlungsabläufen: In wesentlichen Hinsichten an Durkheim und Mauss anknüpfend, rücken Theorien sozialer Praktiken meist - gegen Theorien rationalen Handelns - das Moment des nichtreflektierten Handelns in den Vordergrund. Dagegen gehen pragmatistische Theorien von einem Wechselspiel zwischen Routinen und reflektiertem Handeln aus und zielen darauf, auch Zwischenstufen zwischen beiden Modi zu erfassen. Diese Theoriedifferenz wurde bislang vor allem in der französischen Soziologie genutzt. Auslöser war eine "pragmatische Wende" (Dosse 1995: 12 f.), deren wichtigsten Ausgangspunkt die Arbeit von Boltanski und Thé-venot (2007 [1991]) bildet. Um über die Schwierigkeiten einer an Bourdieu anknüpfenden Theorie sozialer Praktiken - die zugespitzten Annahmen über Stabilität und Homogenität sozialer Ordnungen, die verkürzte Handlungstheorie - hinauszugelangen, wurden hier zunächst Motive der linguistischen Pragmatik aufgenommen. Inzwischen werden in dieser Debatte immer stärker auch pragmatistische Konzepte herangezogen (vgl. Boltanski 2010, Latour 2014). Seit einigen Jahren wird in beiden Theoriefamilien auf instruktive Übereinstimmungen hinge-wiesen. Allerdings steht der Dialog zwischen Pragmatismus und Theorien sozialer Praktiken noch ganz am Anfang. Insbesondere zeigt sich in der pragmatistisch inspirierten Soziologie keine Wende, die der in die Gegen-richtung laufenden französischen Rezeptionsbewegung vergleichbar wäre. Aber gerade auch für die pragma-tistische Soziologie scheint diese Auseinandersetzung vielversprechend. Ein Dialog zwischen beiden Positionen kann - so jedenfalls eine diesem