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Feminismen

Die deutsche Frauenbewegung in globaler Perspektive, Politik der Geschlechterverhältnisse 54
ISBN/EAN: 9783593502922
Umbreit-Nr.: 7510198

Sprache: Deutsch
Umfang: 368 S.
Format in cm: 2.2 x 21.3 x 14
Einband: kartoniertes Buch

Erschienen am 15.03.2018
Auflage: 1/2018
€ 45,00
(inklusive MwSt.)
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  • Kurztext
    • Feminismus und Geschlechterpolitik in Deutschland unterscheiden sich deutlich von ihren Pendants in den USA und in Großbritannien: Während dort Forderungen dominieren, die am liberalen Individualismus und am Ideal gleicher Rechte orientiert sind, stehen in Deutschland soziale Gerechtigkeit und staatliche Verantwortung im Vordergrund. Diese aus einer sozialdemokratischen Tradition herrührenden Aspekte sind hierzulande zudem häufig mit konservativchristlichen Elementen verbunden, die patriarchalische Autorität und den Wert der Familie betonen. Myra Marx Ferree zeichnet in ihrem neuen Buch ein Panorama der modernen Frauenbewegungen in Deutschland, den USA und im globalen Kontext. Sie führt anschaulich vor Augen, dass historisch gewachsene politische Rahmenbedingungen bis heute eine große Rolle für die unterschiedliche Entwicklung der Geschlechterpolitik in Deutschland und den USA spielen. Damit wirft sie die Frage auf, was heute - in Europa und darüber hinaus - überhaupt 'feministisch' ist.
  • Autorenportrait
    • Myra Marx Ferree ist Alice H. Cook Professorin für Soziologie und Direktorin des European Union Center of Excellence an der University of Wisconsin, USA. Sie ist eine der renommiertesten Soziologinnen und Geschlechterforscherinnen der USA und eine exzellente Kennerin deutscher Geschlechterpolitik. Sie war Marie-Jahoda-Gastprofessorin für internationale Geschlechterforschung an der Universität Bochum und Berlin Prize Fellow an der American Academy Berlin.
  • Schlagzeile
    • Die vielen Gesichter des Feminismus
  • Leseprobe
    • Vorwort zur deutschen Ausgabe Das vorliegende Buch entstand dank glücklicher Umstände verschiedenster Art. Zunächst waren da jene zeitlichen Zufälle, die mich Anfang der 1980er Jahre als Gastprofessorin nach Frankfurt/Main an den neugeschaffenen Lehrstuhl für Soziologie mit dem Schwerpunkt Frauenarbeit und Frauenbewegung führten - und dann, ausgerechnet 1990, kurz nach der Wiedervereinigung, nach Berlin. 1981 hatte der DAAD meine Forschungen zum Thema Frauen und Arbeit unterstützt und 1989 förderte der German Marshall Fund of the United States ein Projekt zur feministischen Institutionalisierung. Aus den Netzwerken der hervorragenden deutschen Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen, die mich während jener Forschungsaufenthalte auffingen, erwuchsen zahlreiche Freundschaften, ebenso wie langanhaltende intellektuelle Debatten über den Atlantik hinweg. Diese Diskussionen nährten meine Neugier bezüglich der Ähnlichkeiten und Unterschiede in unseren Standpunkten zu Frauenrechten, Interessenslagen und Organisationsfragen. 2004/2005 boten sich mir während meiner Forschungsaufenthalte im Rahmen der Marie-Jahoda-Gastprofessur für internationale Geschlechterforschung an der Ruhr-Universität in Bochum sowie als Stipendiatin an der American Academy in Berlin weitere wertvolle Gelegenheiten, Zusammenhänge zu aktuellen politischen Ereignissen herzustellen, mit langjährigen Kolleginnen und Kollegen neue Gespräche anzuknüpfen und die Zeit zum Schreiben zu nutzen. Meine über drei Jahrzehnte gesammelten Einblicke in die Entwicklung des deutschen Feminismus waren ein ergiebiger Fundus, aus dem ich für meine Forschungs- und Lehrtätigkeit schöpfte. Die Schwierigkeiten, denen ich mich gegenübersah, als ich US-amerikanischen Studentinnen und Studenten zu erklären versuchte, dass die politische Welt, die sie für selbstverständlich halten, global gesehen eher die Ausnahme als die Regel ist, haben mich schließlich zu diesem Buch bewogen: Anstatt weiterhin einzelne Artikel über ganz spezielle Fragen zu verfassen, entschloss ich mich dazu, die losen Fäden der verschiedenen Punkte aufzunehmen und zu verbinden. Dass nationale Identität, ethnische Zugehörigkeit, Klasse und Sexualität auf sehr unterschiedliche Weise mit Geschlechterpolitik zusammenhängen, ist eine Einsicht, die nach meinem Dafürhalten auch der deutschen Leserschaft von Nutzen sein kann. Die Behauptung, der deutsche Feminismus hinke dem amerikanischen ein Jahrzehnt hinterher, habe ich so oft gehört, dass ich sie beinahe geglaubt hätte - dieses Buch jedoch ist der umfassende Versuch, diese Auffassung zu widerlegen. Die deutsche feministische Politik hat Stärken und Schwächen, die aber immer in ihrer Geschichte begründet liegen. Statt also besser oder schlechter, schneller oder langsamer zu sein, sind die Wege dieser und anderer Frauenbewegungen immer spezifischer Ausdruck dessen, was im jeweiligen Kontext politisch wichtig ist. Hinzu kommt, dass kein Land einem geradlinigen, vorwärts gerichteten Weg zur Gleichstellung der Geschlechter folgt. Im Gegenteil sind die Wege hin zu mehr Gleichberechtigung in den letzten Jahren spürbar steiniger geworden. So werden in den USA auf Grundlage des Marktfundamentalismus seit geraumer Zeit ökonomische Ungleichheiten ausgeweitet und eine soziale Absicherung untergraben. Das Schlagwort "Familienwerte" ist dabei schon lange zur antifeministischen Parole der Republikaner verkommen. Dennoch hatte mit einem so massiven Rechtsruck der US-amerikanischen Republikaner im Zuge der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten kaum jemand gerechnet. Von der subtilen Rhetorik des verdeckten und unterschwelligen Rassismus (für den man im englischen Sprachraum das Bild der Hundepfeife heranzieht, die nur diejenigen hören, die sie hören sollen, während die breite Öffentlichkeit die versteckten Signale kaum bemerkt) sind sie unter der Regierung Trump zu einem unverhohlen weißen Nationalismus übergegangen. Die gegenwärtigen Angriffe auf die reproduktiven Rechte der Frauen und die Rechte der Homosexuellen höhlen eben diesen rechtlichen Schutz unter dem Vorwand, "die Religion zu schützen", nun vollends aus. Die US-amerikanische Waffenkultur hat es zornigen weißen Männern ermöglicht, eine Welle von Massentötungen auszulösen, die den Deutschen Herbst mit seiner radikalen Gewalt in den 1970er Jahren heute vergleichsweise, ja, zahm erscheinen lassen. Auch in Deutschland zeigt der ethnische Nationalismus wieder seine hässliche Fratze und mit seiner Hilfe hat es die AfD mit der Bundestagswahl 2017 sogar bis ins deutsche Parlament geschafft - wobei Thilo Sarrazin schon lange vorher demonstriert hatte, dass Antipathie gegenüber Immigranten, Asylsuchenden und Muslimen im Allgemeinen auch über Parteigrenzen hinweg anschlussfähig ist. Als eurokritische Partei ergänzt sich die AfD mit anderen Bestrebungen innerhalb Europas, die Grenzen zu schließen und das Rassifizieren von Unterschieden zwischen Christen und Nichtchristen wieder zu legitimieren. Darüber hinaus vertritt diese Partei ein höchst konservatives Frauen- und Geschlechterbild. Anders als die Vertreter des Nationalismus der Weißen in den USA fördert sie jedoch keine gegen Abtreibung und Verhütung gerichteten Initiativen, spricht Frauen nicht mit offen geschlechtsspezifischen Verunglimpfungen von allem Weiblichen an und versucht nicht, sexuelle Belästigung und Übergriffe zu rechtfertigen. Seit der Wahl der AfD in den Deutschen Bundestag ist aber der Frauenanteil darin gesunken. Während der Frauenanteil an Sitzen im US-Kongress nie über 20 Prozent hinausging, hat der Anteil an weiblichen Abgeordneten im Deutschen Bundestag einen neuen Tiefstand erreicht und ist von 37 Prozent auf 32 Prozent zurückgegangen. Dies ist die Folge der Wahlgewinne von Parteien, deren Ziel kaum in der Vertretung durch Frauen oder im Einstehen für Frauenbelange liegt. Die neue Fraktion der AfD im Bundestag setzt sich zu lediglich 11 Prozent aus weiblichen Abgeordneten zusammen, und auch in der 2017 wieder in den Bundestag gewählten FDP, die ebenfalls nicht gerade als Partei der Frauen gilt, sind Frauen unter den Abgeordneten deutlich unterrepräsentiert. In den USA trug der Zusammenhang zwischen rassistischen Beleidigungen und geschlechtsspezifischen und sexuellen Beschimpfungen von rechts dazu bei, dass sich wachsender Widerstand formierte - von Frauen angeführt und themenübergreifend. Dieser Widerstand fand in der massenhaften Mobilisierung am Tag nach Donald Trumps Amtseinführung seinen ersten Ausdruck und breitete sich weltweit aus. Der Kampf um bezahlbare Gesundheitsfürsorge für Familien hat der von Frauen ins Leben gerufenen geschlechterbewussten Widerstandsbewegung einen solchen Auftrieb verschafft, dass sich Bewegungen wie Nasty Women, Black Lives Matter und Occupy zu einem progressiven Bündnis zusammentaten. Dennoch vertrete ich heute noch genauso vehement wie 1985, als ich mich zum ersten Mal mit diesen Fragen auseinandersetzte, die Ansicht, dass man in wissenschaftlicher wie politischer Hinsicht einen liberalen Feminismus, besonders in seiner amerikanischen Ausprägung, auf keinen Fall mit dem Feminismus schlechthin gleichsetzen darf. Gleichzeitig darf die wertvolle demokratische Kritik, die der politische Liberalismus den Sozialisten und moralischen Reformern gebracht hat - mögen sie sich nun mit dem Feminismus identifizieren oder auch nicht -, nach meinem Dafürhalten keinesfalls über Bord geworfen werden. Es besteht leider die Tendenz, die politischen Forderungen des Liberalismus nach Menschenrechten, individuellen staatsbürgerschaftlichen Rechten und persönlichen Freiheiten mit dem Neoliberalismus zu verwechseln, also einer kapitalistischen politischen Ökonomie, welche die Märkte über alles stellt. Meiner Ansicht nach ist diese Vermischung wissenschaftlich nicht vertretbar und politisch höchst bedauerlich. Denn so lässt sich nur schwer erkennen, warum eine wirklich starke und vor allem vollkommene Demokratie sogar in solchen Ländern unerreichtes Ziel bleibt, die ...