Detailansicht

King Georg, Chagall, die Monroe und wir

Erzählungen aus dem Leben stotternder Menschen
ISBN/EAN: 9783921897676
Umbreit-Nr.: 3267738

Sprache: Deutsch
Umfang: 222 S.
Format in cm: 1.5 x 18.2 x 13.5
Einband: kartoniertes Buch

Erschienen am 08.03.2012
Auflage: 1/2012
€ 14,80
(inklusive MwSt.)
Nachfragen
  • Zusatztext
    • Ein Buch mit fesselnd erzählten Geschichten, die einfach Mut machen, mit dem Handicap Stottern kämpferisch und zugleich gelassen umzugehen. Geschichten von ganz normalen Menschen, die nebenan wohnen könnten, aber auch von stotternden Prominenten wie Marc Chagall, Marilyn Monroe, Ludwig Wittgenstein, Maxie Wander und anderen. Spannende Geschichten vom Jetzt-erst-recht. Und: vom Glück. Inhalt Vorwort 4 Der berühmteste Stotterer der Welt (King George und David Seidler) 6 Die Ausschreitung 18 Ismael 28 Miniaturen I 32 Die Zeit ist ein Fluss ohne Ufer (Marc Chagall) 37 Zweistein angepisst 54 BjBjörn 59 Hanebüchen 61 Mein Name ist 65 Miniaturen II 66 Nein, Marilyn ist kein Vorbild für mich (Marilyn Monroe) 71 Ein Wunsch 76 Cuba Libre 105 Miniaturen III 107 Herr Bundeskanzler, noch ein paar ganz persönliche Fragen (Malte Spitz) 112 Die Gruppe 120 Frank auf den Fotos 132 Miniaturen IV 142 Wovon man nicht sprechen kann (Ludwig Wittgenstein) 147 Maximilan heißt noch Maximilian 163 Hass, das war früher 167 Ich bin 169 Miniaturen V 174 Psst! Sonst kommt Papa ins KZ! (Maxie Wander) 179 Ein glücklicher Tag 203 Sieh mich an, wenn Du mit mir sprichst 207 Nachworte 208 Informationen zur Stotterer-Selbsthilfe NRW, zur BVSS und zum Demosthenes-Verlag 216
  • Kurztext
    • Vorwort oder Warum Sie dieses Buch lesen sollten Wenn Sie selbst nicht stottern und auch nicht einer Ihrer Freunde oder Verwandten - warum in aller Welt sollten Sie dann dieses Buch lesen? Millionen Menschen auf der Welt haben den Film The King's Speech gesehen und waren tief berührt von dem Kampf des britischen Königs George VI mit seinem Handicap. Millionen Menschen, die nicht stottern. Vier Oscars konnte The King's Speech 2011 gewinnen, u. a. David Seidler für das beste Drehbuch. Von der schicksalhaften Verknüpfung seines bewegten Lebens mit der Biografie King George VI können Sie in der Erzählung Der berühmteste Stotterer der Welt lesen. Aber auch andere prominente Stotterer werden literarisch porträtiert: Der Maler Marc Chagall, die Schauspielerin Marilyn Monroe, der Philosoph Ludwig Wittgenstein, die Schriftstellerin Maxie Wander und der Politiker Malte Spitz. Wenn auch Ihr Leben manchmal nicht recht in Fluss kommt, ins Stocken gerät, es nicht so läuft, wie Sie gerne möchten, wenn vielleicht auch Sie immer wieder herausgefordert sind zur Balance zwischen Akzeptanz und Widerstand - dann lesen Sie dieses Buch! Denn es handelt vom großen Trotzalledem, vom Mut, mitunter gar vom Glück. Ich besuchte Selbsthilfegruppen in Bonn, Düsseldorf, Köln, Dortmund, Bielefeld, Finnentrop, Kleve, Münster und Göttingen. Dort gab es keine prominenten Namen, aber spannende Erfahrungen: Stotternde ließen mich während langer Abende teilhaben an ihrer Auseinandersetzung mit einem kleinen großen Handicap. Jetzt erst recht! Reiche Impulse flossen in die Miniaturen ein oder bildeten den Stoff für eigenständige dramatische Erzählungen. Natürlich ist zudem manches auch autobiografisch grundiert. Warum auf einen Schatz von sechs Jahrzehnten Stotterer-Erfahrung verzichten? Meine Besuche in den Gruppen wurden begleitet von Ilona Richter. Ihre einfühlsamen fotografischen Porträts finden sich bei den fünf Kapiteln der Miniaturen. Die abgebildeten Menschen sind nicht unbedingt identisch mit den Protagonisten. Namen und Umstände sind, von historischen Personen abgesehen, in allen Erzählungen frei erfunden. Gerd Riese
  • Leseprobe
    • Die Ausschreitung 30 Jahre liegt das jetzt zurück. Es gibt noch keine Fahrkartenautomaten. Und deshalb hat Stefan dieses verfluchte Problem. Er schreitet noch kräftiger aus, seine Füße knallen über den Asphalt. Nicht, weil er es eilig hat. Ihm ist inzwischen egal, wann er ankommt. Er stampft auf vor Wut, mit jedem Schritt stärker. Es beginnt leicht zu nieseln, Stefan schlägt den Jackenkragen hoch. Natürlich ist er viel zu dünn angezogen für eine Oktobernacht. Im Grunde könnte er längst daheim sein. Wäre er mit dem Zug gefahren. Wäre. Mit diesem Marsch durch die Nacht war nicht zu rechnen. Wirklich nicht? Er führt Selbstgespräche, schließlich ist er allein auf dieser Landstraße durchs Bergische Land zwischen Wuppertal und Solingen. Wer läuft hier schon lang, in dieser elenden Provinz, im Dunklen. Mitten in der Woche. Wäre Wochenende, wäre Disco-Time, vielleicht wäre dann ja noch irgendjemand unterwegs. Einer, der in Wuppertal sein bisschen Geld versoffen hat und jetzt laufen muss, heim, nach Solingen. Was aber sollte er mit einem Discogänger? Oder schon besser einer Discogängerin? Er verflucht den Konjunktiv. Stefan traut sich sowieso nicht rein. Einmal war er tatsächlich drin, einmal. Sah ein Mädchen, sah sie an, lange, heimlich, mit Sehnsucht, wollte sie ansprechen, nahm Anlauf, nahm jeden Mut zusammen und brachte nur heraus: Hallo, ich hei-heiße Scht-Scht-Scht. Gegrinst hatte sie. Ganz blöde gegrinst. Ach, hast wohl vergessen, wie du heißt? Solltest vielleicht weniger saufen. Und sich umgedreht. Er hatte auf das Glas Cola in seiner Hand gestarrt und nicht mehr aufzuschauen gewagt. Ja, er trank Asbach Cola, aber besoffen war er längst nicht, nicht von diesem einen Glas. Vielleicht sollte er sich wirklich besaufen. So richtig. Er hatte die Disco verlassen. Noch die Erinnerung tat weh. Er trat mit dem Fuß gegen einen der Straßenpfosten, weißer Kunststoff, kurz vor Hahnerberg. Du hast es, dieses Stottern, und Du hasst es. In Wortspielen warst Du immer groß. Aber nicht im Wörtersagen. Ja, es ist ganz okay, die Stotterei zu hassen. Aber musst Du Dich deswegen selber hassen? Ja, er hasst sich, wenn er nicht mal seinen Namen sagen kann. Oder, wie vorhin nicht, Solingen. SSSSSo-lilililingen. Das S und das L sind Horrorlaute. SO! SO!!! Schrei es raus! Ein 5er-Rhythmus, verdammt noch mal, lang-langkurz- kurzkurz, SO!SO!SOLINGEN! SO!SO!SOLINGEN! SO!SO! SOLINGEN! Hört sich fast an wie bei den Studenten, denkt er. Jetzt ein Dreier. Im Rhythmus stampft er auf und skandiert SO!-LIN!-GEN! - SO!- LIN!GEN! SO!LIN!GEN! Ohne jedes Stottern brüllt Stefan den Namen der Stadt gegen den Wald, die dunklen, nassen Stämme. Gegen die Erde, die Felsen. Gegen die Blätter, die über die Straße wirbeln, gegen die nächste, ansteigende Kurve. Gegen den aufkommenden Wind. Und schreit: NIE WIEDER! Ich kann wirklich besser brüllen als sprechen. Hätte ich den Bahnbeamten etwa andonnern sollen? "SOLINGEN!!!" Oder: "LOS, VERDAMMT NOCH MAL, GEBEN SIE MIR ENDLICH EINE FAHRKARTE NACH SOLINGEN, WIRD'S BALD!!!" Alles Mist. Genauso bescheuert wie mit offenem Mund vor dem Mann zu stehen, um schließlich, irgendwie, SSS-So-lilil-ingen herauszuwürgen. Die Schlange vor dem Fahrkartenschalter war ziemlich lang gewesen. Je näher er vorrückte, desto klarer wusste er: Heute geht nichts. Gar nichts. Er wird Solingen nicht sagen können, vielleicht schäumt ihm der Sabber über die Lippen, wenn er das SSSS rausstößt, oder er fuchtelt mit den Händen rum beim lilili. Soll er es singen? Soll er es brüllen? Soll er es flüstern? Er wird auf jeden Fall wie der letzte Trottel dastehen vor diesem Bahnbeamten. Singen: Sohohoho-lihin-gen. Er setzt tief an, dann ein wenig höher, einen Halbton nur, am Ende wieder runter mit der Stimme. Dis-E-Dis. Das klang doch wie.? Hey, wie der Anfang von.? Ihm fällt der Song nicht ein. Egal. Hätte er etwa seine Gitarre mitnehmen sollen, direkt vor den Fahrkartenschalter, und sein