Detailansicht

Patriarchat im Wandel

Frauen und Politik in der Türkei, Politik der Geschlechterverhältnisse 58
ISBN/EAN: 9783593508061
Umbreit-Nr.: 2336063

Sprache: Deutsch
Umfang: 258 S.
Format in cm: 0.1 x 21.3 x 14
Einband: kartoniertes Buch

Erschienen am 11.01.2018
Auflage: 1/2018
€ 34,95
(inklusive MwSt.)
Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen
  • Kurztext
    • Der Rückbau der Demokratie und des Säkularismus in der Türkei betrifft unmittelbar auch das Verhältnis zwischen Frauen und Männern. Der Band beleuchtet erstmals die Politik und Geschlechterverhältnisse unter der AKP sowie die aktuellen Positionen und Ziele der vielfältigen feministischen Bewegungen seit den 2000er Jahren bis heute. Mit Blick auf politische, sozioökonomische und kulturelle Entwicklungen zeigen die Autorinnen des Bandes, wie die historisch gewachsenen, weiterhin aktiven Frauenbewegungen in der Türkei mit einem Wiedererstarken patriarchalischer Strukturen konfrontiert sind.
  • Autorenportrait
    • Hürcan Asli Aksoy, Dr. rer. soc., ist wiss. Mitarbeiterin im Fachbereich Politikwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg.
  • Leseprobe
    • Vorwort Der vorliegende Band ist ein Beitrag zur Diskussion über den Wandel der Geschlechterverhältnisse in der Türkei. Der geschlechterkritische Blick richtet sich sowohl auf die Prozesse der Veränderung als auch auf die beharrlichen Kräfte in den politischen, sozioökonomischen und kulturellen Verhältnissen in der Türkei. Die Autorinnen des Bandes gehen den folgenden Fragen nach: Welche Rolle spielen Frauen im politischen und gesellschaftlichen Wandel? Welche Rechte haben Frauen in der Türkei? Wie beeinflusst der Streit zwischen Religion und Säkularismus die Geschlechterordnung? Inwiefern prägt die politische Repression das zivilgesellschaftliche Engagement von Frauen? Wird in der Türkei um die Verbesserung der Frauenrechte beziehungsweise die Überwindung patriarchaler Verhältnisse gerungen? Wie konfrontieren die Frauenbewegungen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten gegen Frauen in Zeiten des Wiedererstarkens des Patriarchats? An dieser Stelle möchte ich ein paar Sätze zur Entstehungsgeschichte dieses Buches schreiben. Mit der Idee, ein Buch über die Geschlechterverhältnisse in der Türkei in deutscher Sprache herauszugeben, kam Prof.?Dr.?Cornelia Klinger vor fünf Jahren auf mich zu. Im deutschsprachigen Raum gebe es kaum Bücher, die die Geschlechterdynamiken im Lichte des soziökonomischen und politischen Wandels seit der Machtübernahme der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) 2002 untersuchten. Der politische Wandel unter der religiös-konservativen AKP und ihr Einfluss auf die politisch-kulturelle Ordnung der streng säkularen Türkei erweckten großes Interesse sowohl im akademischen Milieu als auch in der deutschsprachigen Öffentlichkeit. Aus diesen Gründen habe ich die Anfrage mit großer Freude angenommen, musste dieses "Projekt" aber zunächst wegen meiner Tätigkeit in der universitären Lehre und Forschung liegen lassen. Mir war allerdings bewusst, dass die Türkei ein bewegliches Untersuchungsobjekt bleiben würde und eine akademische Arbeit stets neu herausfordern könnte. In der Tat ereigneten sich 2013 zunächst die Gezi-Park-Proteste, die zum weltweiten Symbol des Aufstandes wurden. Im selben Jahr wurde den führenden Politikern der AKP-Regierung Korruption vorgeworfen. Nun forderten viele moderne, gut ausgebildete junge Leute mehr Demokratie und den Rücktritt des damaligen Premierministers Recep Tayyip Erdo?an. Trotz der wachsenden Kritik an seinem Führungsstil wählten im August 2014 52 Prozent der türkischen Wähler_innen Erdo?an zum Staatspräsidenten. Auf dem konsolidierten Machtanspruch aufbauend, versuchten Erdo?an und die führenden Persönlichkeiten der AKP kontinuierlich, mit paternalistischen Wertevorstellungen, die auch eine sexistische Sprache mit sich brachten, das Privatleben der Bürger_innen zu bestimmen. Die Zeitungen, Fernsehprogramme und Thinktanks in Deutschland und anderen Ländern fragten: Wohin steuert die Türkei? Auf der Suche nach einer Antwort, habe ich im Frühjahr 2015 die Arbeit an dem Sammelband wiederaufgenommen mit dem Ziel, die rasanten politischen Entwicklungen aus der Geschlechterperspektive heraus zu betrachten. In der Anfangsphase habe ich Akademikerinnen kontaktiert, die auch Texte in deutscher Sprache verfassen können. Überraschenderweise gab es sehr wenige, die über das Thema Geschlechterverhältnisse und Politik in der Türkei auf Deutsch schreiben konnten. Um das Thema breiter zu beleuchten, war es nötig, mehr Akademiker_innen aus der Türkei einzubinden, die die Texte in englischer Sprache verfassen konnten. Nach einer langen und oft schwierigen Phase entstanden die ersten Entwürfe Ende 2015. Als diese Aufsätze im Laufe des Jahres 2016 bearbeitet wurden, ist der bewaffnete Konflikt zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder aufgeflammt. Mehr als 1000 Akademiker_innen, darunter vier Autorinnen dieses Bandes, haben die AKP-Regierung für ihr Vorgehen gegen Kurden mit einer Petition kritisiert. Von Erdo?an dazu aufgerufen, erhob die türkische Staatsanwaltschaft den Vorwurf der "Propaganda für eine Terrororganisation", namentlich für die PKK gegen sie. In der Folge haben viele Akademiker_innen ihre Arbeit an türkischen Universitäten verloren, darunter auch eine Autorin des Bandes, die in Berlin Zuflucht fand. Unter diesen Umständen erlebte die Türkei auch noch einen Putschversuch im Juli 2016. Seitdem befindet sich die Türkei im Ausnahmezustand und der Staatspräsident Erdo?an regiert durch Notstandsdekrete. Im Zuge der Verfolgung mutmaßlicher Anhänger_innen des im US-amerikanischen Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen schränkt die AKP-Regierung die Meinungsfreiheit und die Medien immer massiver ein. Oppositionelle Aktivist_innen und Politiker_innen wurden entweder inhaftiert oder ihnen wurde zumindest die Möglichkeit genommen, Kritik zu äußern. Nach den neuesten Angaben des türkischen Innenministeriums wurden mehr als 50.000 Menschen inhaftiert und 125.000 Staatsbedienstete wegen angeblichen Verbindungen zu Gülen suspendiert. Während dieser "Säuberungswelle" hat noch eine weitere Autorin des Bandes im Januar 2017 ihre Arbeit an einer öffentlichen Universität verloren. Auch ihr Pass wurde annulliert. Autoritäre Politiken und Machtansprüche haben erhebliche Konsequenzen für das akademische Leben in der Türkei. Dafür, dass die Autorinnen in der Türkei sich trotz politischer und akademischer Belastungen den zahlreichen Wünschen von Seiten der Reihenherausgeberin und mir selbst bereitwillig nachgekommen sind, gilt ihnen allen besonderer Dank. Trotz der Repression untersuchen sie weiter die Dynamiken der Geschlechterverhältnisse und engagieren sich leidenschaftlich für die Verbesserung der Situation der Frauen in der Türkei. Während des langen, mühsamen und schwierigen Arbeitsprozesses an diesem Buch habe ich von verschiedenen Seiten Unterstützung erfahren. Das Institut für die Wissenschaften vom Menschen gab mir ein dreimonatiges Stipendium und ermöglichte mir dadurch, diesen Band erstmals in die Wege zu leiten. Dafür bedanke ich mich bei Prof.?Dr.?Cornelia Klinger, die die Entstehung des Bandes von Anfang an begleitete, den Kontakt zum Campus Verlag herstellte, mir mit Ratschlägen zur Seite stand und mich ermutigte, das Buch herauszugeben. Prof.?Dr.?Birgit Sauer vermittelte mir die Kontakte zu einigen Autorinnen, die an dem Buch mitgewirkt haben. Jonas Hensler unterstützte mich als studentische Hilfskraft tatkräftig bei der Bearbeitung und Formatierung der Manuskripte. Dies war nicht zuletzt möglich durch die finanzielle Förderung, die das Büro für Gender und Diversity der Universität Erlangen-Nürnberg bereitstellte. Ich danke auch Prof.?Dr.?Thomas Demmelhuber, dem Inhaber des Lehrstuhls, an dem ich arbeite, für den wissenschaftlichen Freiraum, der es mir gestattete, an den Band zu arbeiten. Ich danke besonders dem Campus Verlag und Joe Kroll für die Unterstützung durch ein sorgfältiges Lektorat der Texte. Sehr dankbar bin ich meiner Familie und meinen Freund_innen, die an dieser Stelle nicht namentlich genannt werden können. Sie wissen alle ihre Namen. Abschließend möchten die Autorinnen und ich all den Frauen danken, die einen unermüdlichen Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und für die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Türkei führen. Ohne sie wäre unser Buch nicht denkbar gewesen. Dieses Buch ist ihnen gewidmet. Erlangen, im August 2017Hürcan Asl? Aksoy Teil I Geschlechterregime und Politik in der Türkei Geschlechterregime im Wandel: Historische Entwicklung der Gleichberechtigung in der Türkei Hürcan Asl? Aksoy Einleitung Die säkulare Türkei war immer eine Ausnahmeerscheinung in der "muslimischen Welt". Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte der neu gegründete türkische Staat umfassende geschlechterpolitische Reformen im Zuge eines radikalen Modernisierungsprojekts durch. Das auf emanzipatorischen und säkularen Maßstäben basierende Geschlechterregime machte die junge Türkische Republik zum fortschrittlichsten Land in der nahöstlichen Region (...