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Die reden - Wir sterben

Wie unsere Soldaten zu Opfern der deutschen Politik werden
ISBN/EAN: 9783593393421
Umbreit-Nr.: 1085269

Sprache: Deutsch
Umfang: 268 S., 4-farbiger Bildteil 32 Seiten
Format in cm: 2 x 21.5 x 14.1
Einband: Englische Broschur

Erschienen am 15.08.2010
Auflage: 1/2010
€ 18,90
(inklusive MwSt.)
Nicht lieferbar
  • Kurztext
    • Deutsche Soldaten kämpfen und sterben im Krieg in Afghanistan. Die Gefallenen werden mit militärischen Ehren in der Heimat beerdigt. Über 40 deutsche Soldaten sind gefallen, Zehntausende sind traumatisiert. Alltag in Deutschland. Erst jetzt werden die Mängel an Ausbildung und Ausrüstung der Truppe diskutiert, die politische und die militärische Führung versuchen noch immer, die Gefahren und Konsequenzen zu verharmlosen. Für Tausende von Soldaten geht der Kampf nach ihrer Rückkehr weiter: Sie werden mit ihren Erlebnissen, mit ihren physischen und psychischen Verwundungen und Verletzungen alleingelassen. Eine rechtmäßige Unterstützung müssen sie oft vor Gericht erstreiten. "Die reden - Wir sterben": Diese traurige Bilanz zieht der langjährige Berufssoldat und Oberstleutnant a. D. Andreas Timmermann-Levanas aus über 20 Jahren Berufserfahrung. Er schildert erschütternde Erlebnisse und kritisiert grundsätzliche Probleme der Einsatzarmee. Das Buch zeigt, was sich ändern muss, um die Soldaten nicht weiter kaputt zu machen.
  • Autorenportrait
    • InhaltsangabeInhalt Vorwort 9 1.Als Soldat im Einsatz für Deutschland 13 Ein eisiger Empfang - Sarajevo, Dezember 1998 13 "Operation Notbehelf" - Einsatz mit Hindernissen 19 · Ein Wolf im Schafspelz 22 · Den Mangel verwalten - der Mythos von der "Null-Fehler-Armee" 24 · Mangel erkannt, doch nicht gebannt - im Kreuz-feuer der Politik 27 "Tue Gutes und schweige darüber" - Kundus, Juni 2006 30 Feuerkampf im "ruhigen Norden" 33 · Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? 38 · Maulkorb vom Minister 41 · Unehrlichkeit und ihre Folgen 47 · Soldaten zwischen Gehorsam und blinder Gefolgschaft 49 · Auf-wachen in der Wirklichkeit - eine neue Ehrlichkeit in der Politik? 51 2.Der Krieg im Kopf 57 Wenn die Seele verblutet 57 Geisterfahrt 71 · Die Bombe im Wohnviertel 72 · Tauchgang 78 · Ge-meinsam sterben 81 · Die Wäscheleine 86 · Die letzte Zugfahrt 89 · Träume? 91 · Kontakte 93 · Einer von uns 95 Mit Elektroschocks gegen Kriegsneurotiker - der lange Marsch von PTBS durch die medizinische Lehre 99 Die Geburtsstunde der PTBS in der Medizin und der Erste Weltkrieg 99 · Neue Kriege und ein altes Leid - PTBS im und nach dem Zweiten Weltkrieg 103 · Der medizinische Fortschritt und der heutige Behandlungsstand 107 Wo kein Krieg, da kein Trauma - die PTBS-freie Bundeswehr 111 PTBSVeteranen bleiben auf der Strecke Erfolg auf ganzer Linie 117 · Eine einzige große Masche das Psychosoziale Netzwerk 121 · Flächendeckend ist nur der Ärztemangel 124 · Luftschloss RecreationCenter 127 · Präventivkuren für die Rückkehr in den Alltag 128 · Das PTBSForschungszentrum (TraumaZentrum) 131 · So lügt man mit Statistik PTBSFälle in Zahlen 134 · Ein Schlaglicht auf die "Dunkelziffer" 140 3.Versorgung der Veteranen 147 Auf den Feind folgen die Formulare - Antragsteller und ihr mühevoller Weg zum Recht 147 In der Psychiatrie 149 · Wieder bei der Truppe 151 · Die Beweislast liegt beim Antragsteller 153 · "Sie erlebten diese Ereignisse nicht persönlich" - der Kampf um Anerkennung 159 · Am Ende jeder Sackgasse eine Wand - die Bundeswehr 163 · Akteneinsicht unter Aufsicht 165 · ". und für die Zukunft alles Gute" - Ende einer Dienstzeit 171 Die unbekannte Welt des Entschädigungsrechts 175 Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland 179 · Und täglich grüßt der Amtsschimmel - Behörden, Wehrbereichsverwaltung & Co. 185 Nach dem Überleben - Leben ohne Fürsorge und Unterstützung 188 Hilfe zur Selbsthilfe - Die Gründung der Deutschen Kriegsopferfürsor-ge (DKOF) 197 · Die Bundeswehr verweigert - das System der Aber-kennung von Ansprüchen 202 · Kontrolle ist gut - Gerechtigkeit wäre besser 209 · Fatale Folgen für die Betroffenen 212 · Die eingebildeten Kranken? Das Misstrauen der Bundeswehrführung 213 · Warum die Politik die Wahrheit nicht hören will 215 · Leid soll messbar sein - das Feilschen um Entschädigungssätze 218 · Ein Schutzschirm mit Lö-chern - das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz 221 · "Die Bundes-wehr sitzt uns aus" - Radarstrahlenopfer kämpfen um ihr Recht 224 · Kameradschaft und Fürsorge sind am Ende - Einzelfälle zählen nicht 229 · Unbequeme Wahrheiten 232 Widmung 235 Dank 237 Karten Abgeschlossene Auslandseinsätze der Bundeswehr 238 Aktuelle Auslandseinsätze der Bundeswehr239 Anmerkungen 240 Literatur 250 Abkürzungsverzeichnis und Glossar 258 Bildnachweis 268
  • Schlagzeile
    • Der Krieg im Kopf
  • Leseprobe
    • Kapitel 2 Der Krieg im Kopf Wenn die Seele verblutet Die Straßenkreuzung gleicht einer Verkehrsinsel, auf der gerade ein Basar abgehalten wird. Die kleinen und alten Autos sind eher in der Minderzahl und versuchen sich einen Weg durch die Massen der übrigen Transportmittel zu bahnen. Menschen auf Eseln, Fahr-radfahrer, Mofas und Mopeds, überfüllte Busse, Lastwagen mit buntem Zierrat behangen, Kamele als Lastentiere mit riesigen Heuballen oder vielköpfigen Familien auf dem Rücken - alles drängt sich auf der einzigen geteerten Straße in der Mitte von Kun-dus um diesen Verkehrsknotenpunkt. Wer über eine funktionieren-de Hupe verfügt, der betätigt sie oft und scheinbar automatisch. Überall dazwischen bewegen sich Fußgänger durch die staubige Sommerhitze. Die blauen Burkas afghanischer Frauen setzen sich deutlich von dem sandigen, lehmfarbenen Straßenbild ab. Zusam-men mit der bunten Auslage der Obst- und Gemüsestände am Straßenrand wirken sie, als wollten sie bewusst Farbe in dieses triste Land bringen. In der Mitte der Kreuzung befindet sich eine Polizeiwache. Et-was erhöht gebaut, mit matten dünnen Scheiben in allen Richtun-gen, versucht dieses Gebäude so etwas wie Staatsmacht oder Ordnung darzustellen. Alle Straßen, die auf diese Kreuzung zulau-fen, sind von dieser Polizeiwache aus zu sehen. Der ursprüngliche Verputz der Betonwände hatte irgendwann einmal rot-weiße Strei-fen zur besseren Erkennung getragen. Eifrig versuchen die örtli-chen Polizeikräfte, durch schwer zu deutende Handzeichen oder mit lauten Trillerpfeifen so etwas Ähnliches wie Verkehrsregeln durchzusetzen. Ich folge meinen Kameraden zu Fuß durch das Getümmel der Menschen. Wir haben ein Treffen mit dem örtlichen Polizeichef, wollen mit ihm über die Sicherheit in der Stadt Kundus sprechen, auch über die Verkehrssicherheit. Unsere Militärpolizisten sind ebenso dabei wie der deutsche Polizist, der sich um die Ausbil-dung der afghanischen Kollegen kümmert. Wir haben zuvor aus Kreisen des Geheimdienstes die Warnung erhalten, dass sich zwei Selbstmordattentäter in der Stadt aufhal-ten sollen - mindestens einer von ihnen soll in einem mit Spreng-stoff gefüllten weißen Toyota auf uns warten. So dankbar wir über solche Warnmeldungen auch sind, bleiben wir verunsichert. In dem Durcheinander des Straßenverkehrs in Kundus ist fast jedes zweite Auto ein weißer Toyota. Ich stehe beim ersten Treffen etwas abseits von unseren Solda-ten und den afghanischen Polizisten. Herzliche Begrüßungen, höfliche Wortwechsel, die Sprachmittler tun ihr Bestes. Plötzlich erfasst mich eine gewaltige Woge der Angst. Zum ers-ten Mal während meines Einsatzes habe ich Todesangst, die ich nicht einordnen kann. Ich kenne diese Angst von verschiedenen Anschlägen, vom direkten Beschuss, ich lag schon einmal in einem Feuergefecht und sah die Panzerfaustraketen auf mich zufliegen. Aber da hatte ich eine konkrete Bedrohung vor mir, sah einen Feind. Jetzt sehe ich ihn nicht und spüre dennoch die gleiche Angst. Sie ist gewaltig, ich kann mich nicht dagegen wehren. Keine militärische Ausbildung, keine Waffe, keine Schutzweste und kein Stahlhelm, kein Drill und kein Training kann mich davor schützen - sie ist einfach da. Ich versuche zu sortieren, bemühe mich, die Kontrolle über die Situation zu behalten. Ich handle als Soldat, beginne mit der Lage-beurteilung. Wo sind meine Kameraden, wo meine linken und rech-ten Nachbarn? Wo könnte die Bedrohung sein? Woran könnte ich sie erkennen? Wie ist der Ladezustand meiner Waffe? Welche Maßnahmen könnte ich ergreifen? Alles läuft in Sekunden ab. Ich erfasse mit schnellen Blicken mein Umfeld und sehe plötzlich einen Mann in typisch afghanischen Gewändern. Unter seinem Umhang zieht er ein Mobilfunktelefon hervor. Er beobachtet aufmerksam die Umgebung und schaut wiederholt in die Richtung einer Straßen-einmündung in die Kreuzung. Ich finde es merkwürdig, dass der Mann nicht auf sein Handy schaut. Er klappt es auf und beginnt die Tasten zu bedienen. Aber